„Es geht um Stärke statt Defizitorientierung“
CWE-Geschäftsführer Sören Uhle spricht im Interview mit dem Journalist Christian Wobst über Lebenszufriedenheit, Selbstvertrauen und wie man dahin gelangen kann. Dabei erklärt er, wie Unternehmen, junge Leute, die Stadt Chemnitz und die Gesellschaft von einer Fokussierung auf die eigenen Stärken profitieren können
Interview:
Die Corona-Pandemie hat viele Branchen in diesem Jahr unter Druck gesetzt, vielerorts aber notwendige Innovationen zum Vorteil der Unternehmen und der Beschäftigten deutlich beschleunigt. Wie haben sich die Unternehmen in Chemnitz in den vergangenen Wochen und Monaten geschlagen?
Wenn wir etwas gelernt haben, dann, dass man auf eine solche Frage keine pauschale Antwort geben kann. Es zeigt sich aber, dass die Unternehmen, die breiter aufgestellt und nicht übermäßig groß sind, mit der Krise besser und vor allem flexibler umgehen konnten. Großkonzerne der Industrie oder Dienstleister, die in der für unsere Region typischen Automobilbranche unterwegs sind, hatten es wesentlich schwerer. Doch ganz egal, um welche Unternehmensform es sich handelt, merken wir ganz deutlich, dass sich der bereits seit längerer Zeit abzeichnende Transformationsprozess in Chemnitz noch einmal beschleunigt hat. Anpassungsprozesse in den Unternehmenskulturen sind nicht mehr aufzuhalten. Es geht nicht mehr nur darum, wie das Unternehmen im Markt aufgestellt ist, sondern es ist genauso wichtig, wie die Unternehmenskultur gelebt wird und sich Bedürfnisse der Mitarbeiter mit den Unternehmenszielen vereinbaren lassen.
In den Aufbaujahren nach der Wende war Unternehmenskultur in vielen sächsischen Firmen allerdings eher ein Fremdwort.
Das stimmt. In den ersten 20 Jahren nach der Wende wurden Mitarbeiterorientierung und andere Themen aus dem Bereich Unternehmenskultur als nette Zusatzaufgabe betrachtet. In den vergangenen zehn Jahren spürten wir aber einen starken Wandel, vor allem auch, weil Unternehmenskultur zu einer Führungsfrage geworden ist. Die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer müssen sich heute viel mehr Gedanken machen, wie sie ihre Beschäftigten an das Unternehmen binden, denn es wird immer schwieriger, wichtige Stellen - besonders im Bereich der Hochqualifizierung - zu besetzen. Unternehmen, denen eine gute Mitarbeiterorientierung gelingt, haben mit weniger Fluktuation in der Belegschaft zu kämpfen. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen schauen nicht mehr nur auf die Arbeitgebermarke, sondern viel häufiger auf die Unternehmenskultur und das Team, mit dem man zusammenarbeitet.
Mit Teamarbeit sieht es im Moment gerade eher schlecht aus.
Warum? Teamarbeit ist ja nicht nur auf die analoge Welt beschränkt. Es zeigt sich gerade in einer Krise wie dieser, wie wichtig das im Team aufgebaute Vertrauensverhältnis ist. Denn nur dann funktionieren die digitalen Prozesse. Das wird meiner Meinung nach bei der Einführung von digitaler Arbeit oft unterschätzt. Es reicht nicht, nur die technischen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Viel wichtiger ist, die Einführung digitaler Prozesse gut vorzubereiten.
Die CWE ist vor allem als Wirtschaftsförderungsgesellschaft bekannt. Sie sind aber auch stark in der Berufsorientierung engagiert. Welche Angebote unterbreiten Sie dabei Firmen?
Wir haben uns 2016 als Wirtschaftsförderer neu aufgestellt und betrachten unseren Auftrag mittlerweile wesentlich ganzheitlicher. Mit diesem Ansatz gehören wir deutschlandweit zu den Vorreitern. Wir sehen uns nicht mehr nur schlichtweg als Vermittler von Fördermitteln und Unternehmensfinanzierungen. Wir arbeiten seit geraumer Zeit auch verstärkt an den Themen Unternehmenskultur, Personalentwicklung, Fachkräfte-Recruiting und Fachkräftesicherung. Aus diesem Grund gehört auch die Studien- und Berufsorientierung für uns ganz klar zur Wirtschaftsförderung. Dazu sitzen wir mit den verschiedensten Institutionen an einem Tisch. Wir versuchen dabei eine klassenstufenübergreifende Berufsorientierung, die einen systematischen Ansatz verfolgt.
Was heißt das genau?
Vielerorts ist es ja so, dass die Unternehmen mit ihren Angeboten in die Schulen rennen. Die heben die Hände, weil sie die Koordination und Systematisierung gar nicht leisten können. Gerade für die Schüler ist es aber wichtig, dass sie nicht die Angebote von 20 verschiedenen Unternehmen kennen, sondern dass ihnen bewusst wird, ob sie ihre berufliche Zukunft mehr im technischen, kaufmännischen, kreativen oder sozialen Bereich sehen. Wer zum Beispiel in der achten Klasse ein Praktikum in einen Industrieunternehmen absolviert hat, kann dann vielleicht in der neunten Klasse in eine Werbeagentur hineinschnuppern. Dieses Angebot lässt sich wunderbar mit der Potenzial- und Kompetenzanalyse des Projektes „Talenteschmiede bewegt“ verknüpfen, um die Schüler noch mehr zu befähigen, für sich selbst zu klären, mit welchem Wert sie auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gehen.
Welche Projekte haben Sie in der Vergangenheit mit der „Talenteschmiede bewegt“ schon umsetzen können?
Ich habe mir einen Workshop selbst einmal angeschaut, weil wir die darin vermittelte Fokussierung auf die Stärkenorientierung auch bei uns in der CWE einsetzen wollen. Die neue gegründete Genossenschaft potential.akademie wollen wir als Pate unterstützen, damit wir den Zugang sowohl in Richtung Schule, als auch in Richtung Unternehmen bekommen, weil wir glauben, dass sich diese stärkeorientierte Philosophie sowohl für die Personalentwicklung, als auch die Berufsorientierung eignet. Ein solches Angebot gab es bisher noch nicht.
Was konnten Sie im Bereich der Berufsorientierung in diesem Jahr für die Unternehmen anbieten?
Aus Gründen der Risikoabwägung leider nicht soviel, wie ursprünglich geplant. Die Woche der offenen Unternehmen im März mussten wir absagen, Ausbildungsmessen konnten nicht stattfinden. Wir haben uns in Webinaren insbesondere auf die stärkeorientierte Personalentwicklung konzentriert, um die Unternehmenskultur von Unternehmen so zu beeinflussen, dass sie auch für sich selber eine stärkeorientierte Berufsorientierung akzeptieren und von vornherein mitdenken, wenn es darum geht, Ausbildungsplätze anzubieten.
Die Beschäftigung mit den eigenen Talenten in der Vorbereitung auf das Berufsleben bringt viele Vorteile mit sich. Was löst diese Fokussierung bei jungen Menschen aus?
Sie werden sich ihrer selbst bewusst. Wer in den 1990er- oder 2000er-Jahren die Schule verließ, der tat das in der Regel mit einer großen Unsicherheit. Auf dem Zeugnis hatten man vielleicht gute Noten, aber in der Ausbildung und im Studium fiel auf, dass vieles noch fehlt. Und dann passierte folgendes: Es fand eine Defizitorientierung statt, was die jungen Leute natürlich demotiviert hat. Wenn man sich aber mit dem Wissen um seine eigene Stärke am Markt präsentiert und weiß, was die fünf ausgeprägtesten Talente sind, dann ist das etwas ganz anderes. Das gilt sowohl für die Schüler als auch die Unternehmen, die oftmals völlig überrascht sind, dass jemand neben guten Noten in Mathe und Deutsch noch eine eigene Reflexion mitbringt. Wenn den jungen Leuten die Stärken schon vor Ausbildungs- oder Studienbeginn bewusst sind, dann gehen sie viel zielsicherer in die Berufswahl. Das führt wiederum zu weniger Abbrüchen, wovon wir als Gesellschaft als Ganzes profitieren.
Welche Vorteile bietet die Stärkenorientierung denjenigen, die schon mit beiden Beinen im Berufsleben stehen?
Für den Einzelnen geht es immer um persönliche Lebenszufriedenheit. Wie viele Menschen sind mit der Devise ‚Hauptsache Arbeit. Hauptsache Geld verdienen‘ in den Job gekommen? Natürlich kann ich in meiner Freizeit und dem Familienleben alles kompensieren, was ich bei meinem Arbeitgeber erlebe. Wir bei der CWE verstehen Arbeitszeit jedoch von vornherein als Lebenszeit und verbinden einen gewissen Qualitätsanspruch damit. Denn in dem Augenblick, wo ein Arbeitgeber im Prozess der Stärkenorientierung feststellt, dass ein Arbeitnehmer ganz andere Stärken hat als gedacht, kann er ihn im Unternehmen auch optimaler einsetzen. Gleichzeitig kann das eine erhöhte Lebenszufriedenheit bei dem jeweiligen Mitarbeiter auslösen. Das senkt im Umkehrschluss Krankheitstage und lässt die Belegschaft anders mit Überstunden umgehen. Außerdem wirken zufriedene, vom Unternehmen überzeugte Mitarbeiter gleich viel authentischer und begeisterter auf die Kunden des Unternehmens.
Ist der von Ihnen skizzierte Mentalitätswandel in den ostdeutschen Unternehmen schwieriger zu realisieren als in den Firmen in den alten Bundesländern?
Es gibt ein Phänomen: Während der dramatischen Transformation nach der Wende standen völlig andere Werte im Vordergrund. Das kann sich nur langsam herauswachsen. Weil die Unternehmen von damals sagen: Damit bin ich erfolgreich geworden und deshalb wird es auch immer so bleiben. Das ist falsch. Unternehmen in den alten Bundesländern tun sich leichter damit, weil sie diesen dramatischen Transformationsprozess nicht hatten, aber immer wieder mit kleinen Krisen konfrontiert waren und wussten: Wenn ich einen Weg finde, diese Krise zu überwinden, dann hat das auch Auswirkung auf meine Unternehmenskultur. Das Motto lautet: „Pass Dich an und Du kommst gut durch!“
Chemnitz wird in weniger als fünf Jahren Kulturhauptstadt Europas sein. Welchen Einfluss hat dieser Titel auf die Wirtschaft in der Stadt?
Die Stärkenorientierung, die wir auf die Personalentwicklung und Berufsorientierung anwenden, haben wir auch auf die Kommunikation der Kulturhauptstadt übertragen. Wir haben nicht mehr über die Schwächen von Chemnitz gesprochen, sondern nur noch über die Stärken. Damit waren wir erfolgreich. Diesen Rückenwind spüren jetzt auch die Unternehmen. Im Bewerbungsgespräch können sie ganz klar fragen: ‚Willst du in der Europäischen Kulturhauptstadt deine Lebenszeit verbringen?‘. Dazu kommt die gestiegene Reputation für die Stadt von außen, die ganz wichtig ist. Jetzt geht es darum, den Titel in konkrete Projekte zu überführen. Dafür steht die Community bereit und will dem Titel zu Glanz verhelfen. Das freut mich persönlich sehr.
Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach die Kulturhauptstadt auf die Attraktivität unserer Region und die Verbundenheit junger Menschen mit dieser Region auswirken?
Wir haben die Bewerbung auf die junge Generation ausgerichtet, um so alle Chancen zu nutzen, die Jugend an unsere Region zu binden. Wir können den künftigen Studenten der Hochschulstandorte Chemnitz, Freiberg, Mittweida und Zwickau ein Angebot machen, das weit über das Studium hinausgeht. Zum Beispiel, indem wir sie in die Projekte der Kulturhauptstadt integrieren. Zum Beispiel, in dem wir sie in die Projekte integrieren. Das gilt nicht nur für die Stadt, sondern die gesamte Region.